Zuletzt aktualisiert am 22. März 2023 um 20:53
Probstzella? Da musste ich erst einmal den virtuellen Atlas anwerfen, um zu erforschen, wo dieser Ort überhaupt liegt. Direkt an der Grenze zu Bayern, so sagte mir mein Online-Helfer. Heute hat diese Grenze relativ wenig Bedeutung, doch bis zur Wende 1989 war Probstzella einer der gefürchteten Grenzübergänge zwischen den beiden deutschen Staaten. Jetzt erinnert noch das Grenzbahnhof-Museum am Bahnhofsgelände daran. Die Gebäude, in denen die entwürdigenden Prozeduren, die Reisende über sich ergehen lassen mussten, sind schon längst dem Erdboden gleichgemacht. Trotzdem spürt man an diesem Ort die Vergangenheit sehr intensiv.
Haus des Volkes, Hotel im Bauhaus-Stil
Heute ist Probstzella ein hübsch herausgeputzter Ort mit einem sehr dominanten Gebäude, das den Ortskern prägt. Das Haus des Volkes. Ein Großbau mit interessanter Architektur-Historie. Das Haus des Volkes wurde in der 2. Hälfte der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts von Franz Itting als Bauherr erbaut. Kein Geringerer, als der bekannte Bauhaus-Architekt Alfred Arendt zeigte sich für die Verwirklichung dieses Projektes verantwortlich. Bei meinem Aufenthalt konnte ich auch die Ausstellung über die sehr wechselvolle Geschichte des Hauses und auch deren ehemalige Besitzerfamilie Itting besichtigen.
Franz Itting und die Elektrifizierung
Franz Itting war maßgeblich an der Elektrifizierung von Thüringen und Teilen von Franken beteiligt und gilt als tragisches Beispiel für politische Verfolgung durch verschiedene Regime. Das einzige realisierte Bauhaus-Großprojekt Thüringens wurde nach Jahren des Verfalls vor gut 10 Jahren von neuen Besitzern mit neuem Leben gefüllt. Viele Bereiche wurden im Original wieder hergestellt, besonders auf die ursprüngliche Farbgebung wurde viel Bedacht gelegt. Heute dient das Haus des Volkes nicht nur als Hotel, sondern ist ein Platz für gesellschaftliche Begegnungen. Da wird gekegelt, geheiratet, gebruncht und gefeiert.
Schiefer wohin man schaut
Nicht nur diese Einzigartigkeit zeichnet Probstzella aus. Nein, es ist die wunderbare Landschaft, die vom Schiefergestein dominiert wird. Schiefer an den Hausfassaden und Schiefer der einfach mitten in Blumenhängen herausragt. Schiefer hat den Menschen hier lange Zeit Arbeit gegeben. Heute kann man sich in Schaubergwerken davon überzeugen.
Verbotene Grenzgänge während des DDR Regimes
Am Sonntag vor meiner Abreise hatte ich wieder einmal, wie schon in den Tagen zuvor, einige magische Momente. Mit Volker Hotka, seines Zeichens Naturführer, machte ich mich auf den Weg entlang des Schieferpfades zu einem ehemaligen Grenzturm. Ein weiter Teil des Weges führt entlang des ehemaligen Grenzstreifens, der über Jahrzehnte kahlgeschlagen war und heute wieder der Natur zurückgegeben wurde. Es haben sich auch wieder Tiere und Pflanzen angesiedelt, die als verloren galten. Was mir besonders imponierte, waren die interessanten Erzählungen von Herrn Hotka aus seinem bewegten Leben. Da gab wenig Negatives zu berichten, sondern durchaus spannende Ereignisse.
Leistungssport in der DDR
Leistungssport war offenbar in vielen Familien ein großes Thema. Ich habe in meiner Jugend selber Leistungssport betrieben und als Turnerin war die DDR damals natürlich ein großes Vorbild. Herr Hotka hat mir auch aus der Zeit der verbotenen Grenzgänge mit seiner Mutter erzählt. Geschichten, die für mich kaum nachvollziehbar sind und Dankbarkeit zeigen, in welch ausgezeichneten Verhältnissen wir leben. Der Aufstieg im Grenzturm hatte mir eine ziemliche Gänsehaut erzeugt. Ich neige nämlich dazu, mich in Situationen hineinzuversetzen, die an den jeweiligen Orten stattgefunden haben könnten und das ist nicht immer sehr charmant. Trotz dieser geschichtlichen Aspekte, die die Gegend wohl noch eine Weile begleiten werden, ist das Schiefergebirge ein wunderbarer Ort der Erholung und lädt zu schönen Wanderungen ein. Seele baumeln lassen, inklusive.