Ich weiß gar nicht mehr, wann ich mir vorgenommen hatte, einmal nach Brünn zu fahren. Besonders ein Anziehungspunkt hatte es mir schon lange angetan. Die Villa Tugendhat. Es gibt gerade in Brünn zahlreiche funktionalistische Gebäude, aber die Villa Tugendhat ist sicher das Aushängeschild, was diese Stilrichtung betrifft, die gerade in den 1920er Jahren immer beliebter wurde. Und genau dieses Gebäude wollte ich nach all den Berichten, die ich gesehen oder gelesen hatte, einmal persönlich besuchen. Ich sage es gleich vorweg, ich wurde nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil

Die Villa Tugendhat, eine großzügige Mitgift

Brünn war damals eine Textilmetropole und viele Industrielle hatten jüdische Wurzeln. Auch die Tugendhats. Greta, in zweiter Ehe verheiratet, stammte aus einer der wohlhabendsten Familien in Brünn. Sie war eine gebürtige Löw-Beer und ihr Vater Alfred schenkte seiner Tochter zur Hochzeit nicht nur das große Grundstück, sondern kam auch für den Bau der Villa auf. Diese Mitgift resultierte daraus, dass Greta keinen Anspruch auf Firmenanteile hatte. Mehrfach habe ich gelesen, dass der Bau damals das teuerste Privathaus der Welt war.

Architekt Ludwig Mies von der Rohe

Greta war in erster Ehe in Berlin verheiratet, von dort kannte sie auch den Architekten Ludwig Mies von der Rohe. Übrigens hieß der ursprünglich nur Mies, fand den Nachnamen aber wenig sexy und erweiterte ihn um ein Van und den Mädchennamen seiner Mutter. Im Winter 1928 legte der Architekt die ersten Pläne den Hausherrn vor.

Über 1200 qm Nutzfläche wurden geplant und auch tatsächlich verbaut. Das Ehepaar war mit dem Architekten in großer Übereinstimmung. Gewünscht wurde ein Haus mit klaren Linien, ohne Schnörkel. Passend für eine Familie und auch für Repräsentationszwecke.

Ein funktionaler Bau ohne Schnörkel

All dies wurde auch umgesetzt. Die Villa wurde in den Hang gebaut. Beim Eingang sieht man lediglich einen flachen, einstöckigen Bau. Von der Gartenseite aus wird das gesamte Ausmaß sichtbar. Ganz oben wohnte die Familie. Getrennte Schlafzimmer mit hochwertigen Einbaumöbeln. Kinderzimmer mit viel Platz und einem anschließenden Kindermädchenzimmer. Auf der Terrasse wurde sogar eine Sandkiste eingeplant.

Gesellschaftsleben im Mittelgeschoss

Das mittlere Geschoss diente vor allem dem Gesellschaftsleben, obwohl dort auch das sehr großzügige Arbeitszimmer von Fritz Tugendhat und eine Bibliothek Platz fanden. Überwältigend in diesem Stockwerk ist die berühmte Onyxwand, die als Raumtrenner fungiert und den Preis eines ganzen Einfamilienhauses hatte. Für diesen Wohnbereich wurden sogar eigene Möbel von Lilly Reich, Sergius Rügenberg und Mies van der Rohe designt, die bis heute als Klassiker gelten.

Eine verlorene Holzwand und versenkbare Fensterfronten

Direkt neben dem weitläufigen Wohnbereich liegt der Essbereich und die angeschlossene Küche. Gegessen wurde hinter einer halbrunden Holzverkleidung, die 1940 verschwand und 2011 in der Mensa der Universität Brünn wiedergefunden wurde. Faszinierend fand ich die große Glasfront, die einen grandiosen Blick auf die Altstadt bietet. Wie ich erfuhr, konnte man große Teile davon komplett versenken. Dieser Mechanismus ist im Kellergeschoss noch heute zu besichtigen.

Fortschrittliche Technik

Überhaupt ist auch der Technikbereich im Untergeschoss mehr als bemerkenswert. Neben Waschküche, Dunkelkammer für den Hausherrn und Mottenkammer für die Roben und Pelze der Hausherrin, sind dort mehrere Kammern für die Belüftung und Heizung des Hauses untergebracht. Eine technische Meisterleistung in dieser Zeit. Ich erinnere mich daran, dass bei der Führung erwähnt wurde, dass in der warmen Jahreszeit auch eine Salzprise erzeugt werden konnte.

Nicht minder spannend ist der große Park, der zur Villa Löw-Beer hinunterführt.

Stahlkonstruktion als Novum

Mich hat nicht nur das klare Design mit den hochwertigen Materialien in Erstaunen versetzt, sondern auch die Technik, die sich durch das gesamte Haus zieht. Alleine schon die Stahlkonstruktion war damals im privaten Wohnbau ein Novum. Ebenso galten damals die verchromten Stahlstützen mit kreuzförmigem Profil als revolutionär. Sie ermöglichten überhaupt erst die freie Aufteilung des Wohnbereiches, der über 240 qm misst.

1938 musste die Familie Tugendhat fliehen

Mein Interesse gilt auch der Geschichte des Hauses und seiner damaligen Bewohner. Lediglich 8 Jahre konnte die damals vierköpfige Familie Tugendhat die außergewöhnliche Villa bewohnen. 1938 flohen die Tugendhats erst in die Schweiz und reisten später nach Venezuela. Der Vater von Greta, Alfred Löw-Beer , blieb auch noch nach der Besetzung durch die Deutschen im Reichsprotektorat und fand 1939 einen ungeklärten Tod.

Zweckentfremdung durch verschiedene Regime

Danach erfuhr das Haus den üblichen Werdegang in dieser unseligen Zeit. Beschlagnahme durch die Gestapo und Unterbringung eines Konstruktionsbüros der Flugmotorenwerke. Damit war natürlich auch ein massiver Eingriff in die Ausstattung des Hauses verbunden.

Nach dem Krieg wurde das Haus von der Roten Armee genutzt und später teilweise als Turnsaal einer orthopädischen Abteilung einer Kinderklinik zweckentfremdet. Doch bereits in den 1960er Jahren setzten sich Brünner Kulturschaffende für eine passende Nutzung des Kulturdenkmals ein.

UNESCO Welterbe

1992 wurde die Villa Tugendhat zu einem wichtigen Ort eines historischen Aktes. Der Vertrag der Teilung der Tschechoslowakei wurde unterzeichnet. 2001 wurde die Villa auf die Liste des UNESCO-Welterbes für Denkmäler gesetzt. Die Erben verlangten, dass die Villa wiederhergestellt werden sollte. Übrigens wurde vonseiten des Staates nie angedacht, das Gebäude an die Familie zurückzugeben. Nach einer umfangreichen Renovierung wurde das Haus 2012 für die Öffentlichkeit geöffnet und ist heute ein viel besuchtes Museum.

Keine Rückgabe an die ursprünglichen Eigentümer

Die Familie Tugendhat plante nach Kriegsende, inzwischen wurden zwei weitere Töchter geboren, nach Brünn zurückzukehren. Dies scheiterte vor allem am Bürokratismus. Die Tugendhats kehrten später in die Schweiz zurück, wo Vater Fritz 1958 verstarb. Greta besuchte das Haus nach rund 30 Jahren nochmals und verstarb 1970 ebenfalls in der Schweiz.

Bedeutendes Wohnhaus der Moderne

Die Villa Tugendhat gilt seit seiner Erbauung als wegweisendes Architektur und Design Kulturgut. Bis heute wird sie von vielen Architekten als Vorbild genommen. Das Gebäude ist während eines Citytrips nach Brünn nicht nur für Architekturfans ein großer Tipp.

Neben der Villa Savoye von Le Corbusier (1931), Fallingwater von Frank Loyd Whright (1937) und dem Haus Schimke von Hans Scharoun , (1933) gehört die Villa Tugendhat zu den bedeutendsten Wohnhäusern der Moderne.


Villa Tugendhat

Černopolní 45
613 00 Brünn

Homepage

Es gibt verschiedene Führungen (auch auf Deutsch) durch und um das Haus. Ich empfehle, die Tickets rechtzeitig zu bestellen. Rechtzeitig bedeutet in diesem Fall, dass man Wochen einplanen sollte, weil die Nachfrage so groß ist.

Man darf im Haus fotografieren, dafür benötigt man ein Fototicket, das man bei der Tageskasse erwerben kann.

Die Villa Tugendhat ist sehr gut mit Öffis erreichbar. Man kann auch gut durch den berühmten Lužánky-Park von der Stadt aus gelangen. Von der Zufahrt mit dem Auto würde ich dringend abraten.


Disclaimer: Ich habe die Villa Tugendhat im Rahmen einer Einzel-Recherchereise mit Unterstützung von CzechTourism besucht. Der Inhalt entspricht wie immer meiner eigenen Wahrnehmung und Meinung.

Und was meinst du?

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

1 Kommentar
  • Karin Walloscheck
    Donnerstag,8. Juni, 2023

    Eine wunderschöne moderne Villa, die es lohnt zu besuchen