
Zuletzt aktualisiert am 7. Januar 2023 um 19:15
Es ist mir klar, der Titel klingt provokant und letztlich habe ich sehr lange darüber nachgedacht, ob ein so schwieriges Thema auf diesem Blog, der eigentlich leicht und beschwingt sein soll, überhaupt passt.
Kritischer Blick auf das eigene Reiseverhalten
Ja, es passt. Und zwar aus mehreren Gründen. Ich liebe Städtereisen, wie es auch hier unschwer zu erkennen ist. Ich besuche gerne Orte mit Vergangenheit und auch mit Gegenwart. Ich lerne gerne neue Menschen und deren Kultur kennen. Ich esse, wenn auch eingeschränkt gerne fremde Küchen. Ich interessiere mich für Kunst und Kultur.
Das alles sind Gründe für mich, um in unbekannte und oftmals auch bekannte Städte zu fahren. Und ich betrachte meine eigene Reiselust inzwischen öfter auch kritisch. Dass Reisen, in welcher Form auch immer nicht wirklich nachhaltig sind, beschäftigt mich vermehrt.
Salzburg, touristischer Hotspot
Ich lebe in Salzburg. Ein touristischer Hotspot, wie kaum ein anderer in Europa. Salzburg hat viel zu bieten. Neben Hochkultur im Sommer, zu Pfingsten oder Ostern während der weltweit bekannten Festspiele, so kommt ein nicht unbeträchtlicher Teil unserer Gäste wegen des Hollywood Filmes *Sound of Music*. Auch der Christkindlmarkt übt eine große Anziehungskraft aus.
Ich verstehe es nur all zu gut, dass hunderttausende Besucher in meiner Heimatstadt einen Halt machen. 1,7 Millionen Ankünfte und über 3 Millionen Nächtigungen verzeichnete die Statistik für das Jahr 2017. Ein neuer Rekord, seit es Aufzeichnungen über die touristische Entwicklung gibt. Tagestouristen sind hier nicht berücksichtigt, auch nicht jene Gäste die in nicht gemeldeten Unterkünften urlauben.
Tourismus sorgt für Wohlstand
Es ist unbestritten, dass unser Wohlstand zu einem erheblichen Teil durch den Tourismus entstand. Auch für jene, die nicht unmittelbar in dieser Branche tätig sind. Als Eingeborener lebt man mit den großen Menschenmassen, die sommers, wie winters durch die Altstadt geschoben werden.
Man gewöhnt sich jedoch eher weniger daran, dass sich das Stadtbild zusehends ändert. Eingesessene Geschäfte weichen nicht nur internationalen Ketten und Labels, sondern noch öfter geschmacklosen Souvenir Buden. Besonders beliebt, alles was auch nur im entferntesten mit Mozart oder Sound of Music zu tun hat. Ramsch wohin man schaut. Oftmals aus China importiert und neuerdings durch chinesische Touristen wieder exportiert.
Und genau das ist ein Beweggrund für diesen Artikel.
Veränderte Gästestruktur
Die Gästestruktur verändert sich nämlich merklich. Neben Gästen aus Österreich, Deutschland oder den US, sieht man seit rund zwei, drei Jahren, meine persönliche Wahrnehmung, immer mehr Gäste aus China. Und es gibt Gründe, weshalb mir das auffällt. Ich gehe oft sehr zeitig in die Stadt, besonders gerne am Sonntag, da kann es schon vorkommen, dass ich bereits um 7 Uhr morgens durch die eigentlich menschenleere Stadt flaniere. Das ist eben nicht mehr der Fall.
Gerade zu so einer nachtschlafenen Zeit begegne ich nun sehr oft, nein eigentlich immer, mehreren chinesischen Touristengruppen, die eilends durch die Altstadt getrieben werden. Meist mit Handysticks ausgestattet und keinen Blick auf die echte Schönheit der Stadt gerichtet. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass diese Menschen andere Passanten auch oftmals übersehen und einfach niederrennen. Es sind zu dieser Zeit weder Geschäfte noch Lokale geöffnet, somit sind diese Art von Touristen auch keine Umsatzbringer. Man verzeihe mir meine monetären Hintergedanken. Aber die Infrastrukturen werden benützt und sei es um die mitgebrachte, leere Mineralwasserflasche einfach fallen zu lassen.
Hallstatt, das lebende Museum
Nun gab es letzte Woche im österreichischen Fernsehen einen Bericht über den wunderschönen Ort Hallstatt, der von ausländischen Tages-, nein, eigentlich Stundentouristen so in Beschlag genommen wurde, dass für die einheimische Bevölkerung kaum mehr Platz bleibt. Touristen, vornehmlich aus China, scheuen sich auch nicht in fremde Gärten zu gehen, um einen besseren Blick auf den Ort zu erhaschen. Manche Gäste wissen nicht einmal, wo sie sich überhaupt befinden. Ja, man kann den Überblick verlieren, wenn man in 5 Tagen sieben Länder mit jeweils drei Destinationen bereist.
Die Menschen kommen vor allem, weil ein findiger Geschäftsmann, den Ort Hallstadt in China eins zu eins nachgebaut hat. Südkoreaner reisen nach Hallstatt, weil dort wichtige Schlüsselszenen einer südkoreanischen Soap Opera gedreht wurden.
Ort verliert die Seele
Der Ort stand vor wenigen Jahren vor dem finanziellen Bankrott, das ist auf Grund der Touristenströme nun nicht mehr der Fall. Gastronomen und Hoteliers profitieren davon, natürlich auch die Gemeinde, durch hohe Steuerleistungen. Aber der Ort verliert gerade seine Seele. Die Infrastruktur für die Bewohner ist faktisch verschwunden. Stammtische haben sich an ein Tankstellenbuffet verlagert und die Kaffeekränzchen nach der Sonntagsmesse finden in Vereinsheimen statt, statt in den örtlichen Kaffeehäusern. Denn während das heimische Volk bei einem Kaffee und Kuchen zwei Stunden die Tische besetzt, kann man in diesem Zeitraum vier Tagesmenüs an ausländische Besucher verkaufen.
Wir brauchen Touristen und Gäste, darüber sind sich vermutlich alle einig: Aber wenn Tourismus beginnt, die eigene Bevölkerung zu vertreiben, dann ist Vorsicht geboten. Vorsicht bei diesem Overtourismus, der auch das leidige Thema Wohnraum betrifft, der durch oftmals illegale Vermietungen an Touristen der einheimischen Bevölkerung entzogen wird.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass Touristiker diese neuen Strömungen überdenken und darauf reagieren. Vielleicht ist es auch an der Zeit das eigene Verhalten als Tourist genauer unter die Lupe zu nehmen.
Mehr dazu auch bei meinem Kollegen und Freund Horst von Austria Insiderinfo.
Und außerdem gibt es viele weitere Artikel in der Blogparade von Takly on tour, die ständig erweitert wird.
Oli
September 26, 2018In der Grundanalyse hast du sicherlich recht, trotzdem stört mich der antichinesische Reflex etwas. Auch ich war letzte Woche drei Stunden in Salzburg und habe neben dem Kauf einer Flasche Cola Zero bei Spar nichts für die Stadt getan. Ich bin also kein Spürchen besser als die kritisierten Chinesen. Nur falle ich mit meiner langen Nase nicht so auf.
Der zweite Punkt ist natürlich die Frage, wer dafür die Verantwortung trägt. Hallstadt könnte problemlos die Busparkplätze aufheben. Dann könnten nur noch die kommen, die sich wirklich interessieren und die vielleicht auch mehr Geld dort liegen lassen. Die Politik wird von den Einheimischen entschieden, nicht von den Touristen.
Drittens ist es normal, dass sich das Stadtbild verändert. Das hängt aber nicht nur mit dem Tourismus zusammen. Ich habe früher zum Beispiel Schallplatten und danm CD Läden geliebt. Ich fände es immer noch cool, wenn es das gäbe. Aber ich hab seit 20 Jahren Musik nur noch online gekauft. Das gleiche gilt für Bücher.
Dazu kommt, dass sich Städte auch oft gezielt unattraktiv für Einheimische machen. Bei mir in Basel sind zum Beispiel fast alle Parkplätze aufgehoben worden (auch in den Vororten, um Park and Ride zu verunmöglichen). Dadurch ist das Stadtzentrum für mich so unattraktiv geworden, dass ich nur noch einmal pro Jahr hingehe.
Um es kurz zu machen: Ich glaube, dass es hier nicht viel hilft, eine Volksgruppe zu beschuldigen, denn letzlich ist das eine Frage der Politik.
Claudia Braunstein
September 27, 2018Hallo Oli, es war mir klar, dass es aufstoßen würde, wenn ich hier eine bestimmte Gruppe, in diesem Fall chinesische Touristen, anspreche. Ich lebe hier in der Stadt und zwar mitten drinnen und ich empfinde inzwischen, wie viel andere Stadtbewohner auch, gerade das Auftreten dieser Touristen als unangenehm. Man darf das ja nur hinter vorgehaltener Hand sagen………. Ein großer Teil dieser Menschen hat null Respekt, weder vor den Einheimischen, noch vor unserem Lebensraum. Mann rennt durch die Getreidegasse mit dem Handystick in der Hand , egal ob man dabei andere niedertrampelt, schmeißt den Müll willkürlich dort hin, wo er aus der Hand fällt, usw. Ehrlich, das ist nicht die Art von Gästen, die ich mir wünsche. Ich liebe meine Heimat und freue mich, wenn ich die Schönheit von Salzburg herzeigen kann, egal ob hier am Blog oder auch real. Und ich freu‘ mich, wenn jemand meine Begeisterung verstehen kann. Ich habe einfach wenig Verständnis für Menschen die hier her kommen, nur um zuhause auf Filmchen zeigen zu können, dass sie hier waren, ohne zu wissen, wo sie eigentlich waren. Wenn ich wo hinfahre, dann interessiere ich mich für die Menschen und deren Kultur, aber nicht, ob ich eh genug Fotos für die Zuhausegbliebenen habe, um damit angeben zu können. Der TV-Bericht hat genau das zu Tage gebracht, die Leute stellen sich in den Mittelpunkt, ohne zu wissen, wo sie überhaupt sind.
Ich würde mir wünschen, dass der Zugang zu Stadt für Tages-, ähm, Stundentouristen reglementiert wird. Die Gebühren für die Busausstiegsstellen sind viel zu niedrig. Ja, ein langes Thema. Liebe Grüße, gell und das nächste Mal reicht ein Cola nicht, da gehst gscheit essen, Tipps hätte ich eh genug am Blog ;-), herzlichst Claudia
Horst
September 26, 2018Liebe Claudia!
Ein wirklich sehr guter Artikel! Man kann wirklich gespannt sein, wohin das alles noch führt. Ich bleibe an dem Thema auf jeden Fall dran.
Vielen Dank auch für die Verlinkung – das freut mich sehr!
Liebe Grüße
Horst
Claudia Kopp
September 27, 2018Liebe Claudia,
ich habe die Hallstatt-Doku ebenfalls gesehen und war schockiert. Ich komme selbst aus Bad Ischl, liebe diese Gegend und kenne Hallstatt schon mein ganzes Leben lang. Vor 4 Jahren habe ich den Ort zuletzt mit meiner Oma besucht, bereits da war ich über die Unmenge an asiatischen Touristengruppen entsetzt und voller Mitleid mit den Einwohnern; ich dachte allerdings nicht, dass dieser Zustand noch getoppt werden könnte – offenbar ein Irrtum meinerseits…
Nun frage ich mich, warum das so ist. Die Touristen suchen, was sie kennen. Sie konsumieren, was man ihnen vorsetzt. Die Motive aus der ihnen bekannten Soap und dann noch die Fahrt auf den Salzberg zum Fotografieren, auch da gibts dann die prominenten Motive. Was anderes gibt es nicht, weil sie nichts anderes kennen. Zwei Stunden in Hallstatt, wobei eine halbe Stunde für das 3-gängige Menü draufgeht. Keine Auseinandersetzung mit dem Ort, den Menschen, der Historie, den Geschichten, die sich um Hallstatt ranken.
Vielleicht würde sich das ändern, wenn es diese Informationen rund um Hallstatt gäbe, und zwar nicht über das Vordergründige, sondern über Hintergründe, Geschichten, Ereignisse, die nicht jeder kennt…
Der Gedanke kam mir gestern, als ich am Residenzplatz bei einem Trachtengeschäft vorbei ging. Am Boden neben der Tür stand eine Behälter mit 10 kleinen Zirbenbäumchen, kaum 20 Zentimeter hoch. Daneben ein Schild, das darüber informiert, dass die Bäumchen in dieser Größe bereits 5 Jahre gewachsen sind… das ist eine tolle Information, die den Blick auf so manches wieder ein wenig verändert. Vielleicht bräuchte es öfter so eine Kleinigkeit…
Liebe Grüße,
Claudia
Claudia Braunstein
September 29, 2018Hallo Claudia, ich war als Kind oft in Hallstatt und dann Jahrzehnte nicht. Vor zwei Jahren habe ich ganz bewusst eine Bustour gemacht. Der Ort ist ja immer noch hübsch, wenn man über die ganzen Ramschläden hinwegblickt.Fast amüsant fand ich den Dirndlverleih. Es ist wirklich unglaublich, am Ortseingang kann man sich für den Aufenthalt einen Plastikfetzen ausborgen, der als Dirndl bezeichnet wird. Vor einem Jahr war ich im Februar mit meinem Mann dort, er hat gleich bei Ankunft verweigert, den Ort überhaupt zu betreten. Da mischten sich unter die asiatischen Gäste noch zahlreiche dunkel verhüllte Damen die sich über die großen Schneeberge am Ufer vor dem Ortseingang freuten. eh nett, irgendwie 😉 Nein, diese Art von Tourismus benötigt niemand, außer die wirte und Hoteliers. Den Laden am Residenzplatz muss ich mir anschauen, das Heimatwerk vermutlich. Liebe Grüße, Claudia
Ariane
September 28, 2018Liebe Claudia,
Du sprichst mir aus der Seele! Da unterschreibe ich jedes Wort!
Ich kenne es nur allzu gut: Kleine Läden verschwinden, darin nisten sich Agenturen für Ferienwohnungen ein. Eine Bekannte berichtete neulich, dass ihr der Vermieter gekündigt hat. Grund: Mit Airbnb kann er mehr Geld machen…
Das Angebot der Supermärkte orientiert sich mit in Plastik eingeschweißten Tramezzini immer häufiger an der Nachfrage der Touristen. Da steht man in einer langen Reihe vor den Kassen mit seinem täglichen (überteuerten) Einkauf, vor einem die Touristen, jeder mit Cola-Dose oder Keksen bepackt.
Auf den Strassen ist auch zu Fuß kaum noch ein Durchkommen, weil ganze Gruppen, ausgeworfen von den Kreuzfahrtschiffen und verkabelt mit Kopfhörern, die Gehsteige blockieren – und keinen Millimeter zur Seite weichen; im Gegenteil, man muss auf vielbefahrene Strassen ausweichen. Auf diesen selbst fahren die Kleintransporter durch die engen Gassen der Altstadt; erst heute wieder gesehen, gleich vier hintereinander. Großes Hupkonzert, weil sie an Engstellen kaum durchkamen. Mit diesen lassen sich Touristen von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit fahren. Man ist zu bequem geworden, oft nur wenige Meter zu Fuß zu laufen. Ach, ich könnte als so weiter erzählen.
Danke für diesen Beitrag!
Saluti
Ariane
Claudia Braunstein
September 29, 2018Hallo Ariane, eigentlich träume ich seit längerem von einer Kreuzfahrt. aber genau solche Erzählungen lassen mich diesen Wunsch immer mehr überdenken. Hier in Salzburg werden zunehmend mehr Flusskreuzfahrtpassagiere durch die Gassen der Altstadt geschoben, die sind halt von der Menge her nicht so viele. Ja, AirbnB hat leider dir Urfunktion total verloren. Ich lebe in einem Wohnviertel direkt an der historischen Altstadt und bemerke wöchentlich neue Appartments, die professionell vermietet werden. Das nimmt uns Einwohnern die Wohnflächen weg und treibt die Preis in die Höhe. Ich bin inzwischen total für eine Reglemtierung, wie es sie in manchen Städten bereits gibt. Liebe Grüße in meine zweitliebste Stadt, in der ich schon ewig nicht war war. Claudia
Barbara / Reisepsycho
Oktober 14, 2018Hallo Claudia!
Ich kann deinen Ärger so gur verstehen! Ich denke, Overtourismus ist echt eine Erscheinung, um die man sich kümmern MUSS, denn auf Dauer werden so Orte ja auch wieder furchtbar unattraktiv. Ein negatives Beispiel ist zum Beispiel auch Taormina auf Sizilien: eigentlich ein pittoreskes Städchen, aber nun schieben sich die Tourimassen durch die Gassen, sodass man gar nicht umherkommt, mit Fremden zu “kuscheln“. Überall Ramschläden, nur im einzigen handwerklichen Keramikbetrieb hat man seine Ruhe, weil 10€ für ein Souvenir ist den meisten zu teuer. Das Essen kostet doppelt oder dreifach so viel wie 100m außerhalb des Ortes. Nein, das finde ich nicht schön, da kann es noch so “berühmt“ sein.
Ich muss ja sagen, ich liebe meine Stadt Graz. Wir haben Tourismus, aber eher in überschaubarer Menge. In der Herrengasse gibt’s noch heimische Geschäfte, und die Seele der Stadt ist so spürbar. Ich habe bisher nie was über Graz geschrieben, vielleicht auch mit aus dem Grund, weil ich eigentlich will dass es so bleibt wie es ist 😉 . Auch wenn ich mich freuen würde, wenn Leute sich der Schönheit der Stadt erfreuen, so wünsche ich mir doch, dass das mit dem größten Respekt passiert. Damit es eben nicht so wird wie von dir beschrieben. Lg Barbara