
Zuletzt aktualisiert am 7. Januar 2023 um 20:59
Siebzig %, das ist die Angabe die sich in meinem Behinderten-Pass neben dem Grad der Behinderung befindet. Bis vor zwei Jahren waren es sogar 100%.
Ich bin nicht in meiner Bewegung eingeschränkt, jedoch in meiner Nahrungsaufnahme. Auf Grund einer überstandenen Krebserkrankung in der Mundhöhle kann ich nicht mehr richtig kauen und schlucken. Das ist schon im normalen Alltag eine große Herausforderung, jedoch auf Reisen oft mit gröberen Hindernissen verbunden. Restaurants und Gasthäuser wähle ich oft schon von zuhause aus, indem ich die Menükarten vorher studiere und manchmal auch bei der Reservierung auf meine Problematik hinweise. Das ist dann öfter mit einem Mailverkehr verbunden, um ein Menü abzuklären, wenn es sich um ein hochwertiges Restaurant handelt.
Wenn man sich vorstellt, dass ich Reis, Nudeln, Salate, festes Gemüse und Obst und fasriges Fleisch, um einiges zu erwähnen, nicht essen kann, dann ist die Auswahl oft wirklich klein. Ich kann vor allem auch kein Brot essen, was die Option Sandwich, Burger und sonstige Snacks von vornherein ausschließt. Manchmal finde ich sogar Speisekarten auf denen rein gar nichts für mich geeignet ist. Man kann jetzt natürlich sagen, dann lässt man sich halt eine Speise pürieren. Selbst das ist nicht immer möglich, nämlich dann, wenn der Wirt sich weigert. Dann bleibt der Weg in ein Lebensmittelgeschäft, um ein Joghurt oder einen Aufstrich zu kaufen. Ja, so etwas ist mir auch schon passiert, trotz bester Vorausplanung. Längere Zugsfahrten überbrücke ich mit mitgebrachter Jause. Das ist oft Joghurt oder Pudding. Manchmal eine dicke Suppe in einem Trinkgefäß. Oft habe ich auch Smoothies in der Handtasche. Und Schokolade, als Energiespender. Die muss jedoch von einer besonderen Marke sein, sonst kann ich sie nicht essen.
AUTO- UND ZUGSREISEN MIT ESSBEHINDERUNG
Autofahrten über eine längere Strecke sind das geringste Problem, die funktionieren mit einer kleinen Jause, oder einem Aufenthalt in einer Raststätte, dort bekommt man zur äußersten Not auch Babykost in Form von Obst im Gläschen.
Die wohl größte Herausforderung sind aber Flugreisen. Sogar wenn ich nur in Europa fliege. Ich muss dazu erwähnen, dass ich nur sehr kleine Mengen zu mir nehme und auch sehr lange zum Essen benötige. Das bedeutet, dass ich mehrmals täglich essen muss. Oft habe ich nach zwei Stunden schon wieder richtig Hunger. Im Flugzeug selber gibt es für mich nichts, denn die angebotenen Snacks sind einfach nicht passend. Zu bröselig, zu hart, zu fest, wie auch immer. Das große Problem ist schlicht, dass ich nichts in flüssiger oder breiiger Form mit an Bord nehmen kann, so wie etwa in den Zug. Kein Johgurt, kein hochkalorisches Getränk, keine Smoothies und auch keine dicke Suppe. Es ist auch auf vielen Flughäfen äußerst schwierig eine passende Mahlzeit zu finden.
FERNREISEN MIT ESSEINSCHRÄNKUNGEN
Nun trete ich in knapp zwei Wochen meine erste große Fernreise seit meiner Erkrankung an. Es geht nach Singapur. Und seit vielen Tagen bin ich mit der Planung beschäftigt, obwohl die Reise selber durch Singapore Tourism bereits für unsere Gruppe vorbereitet wurde. Bei meinen Recherchen habe ich nun erfreulicherweise festgestellt, dass der Carrier Singapore Airlines tatsächlich zwei verschiedene Menüs für Dysphagie-Patienten als Sonderkost anbietet. Einmal dickflüssig und als zweite Variante breiig. Ich bin wirklich erstaunt welche Sonderkostformen noch angeboten werden. Selbst für Menschen mit Magenproblemen gibt es eigene Schonkost. Das ist wirklich sehr vorbildlich. Alle Lokalbesuche in Singapur wurden bereits im Vorfeld abgeklärt und ich bin schon sehr gespannt, was ich da alles auf meinen Tellern vorfinden werde.
Man kann erkennen, wie aufwändig es ist, mit Behinderung, in welcher Form auch immer, zu verreisen. Mit Esseinschränkungen auf Reisen zu gehen, muss genauso geplant werden, wie mit einer Mobilitätseinschränkung.
Und wer sich jetzt fragt, weshalb ich überhaupt nach Singapur fliege. Ich habe diese Reise beim Food Blog Award als Sonderpreis der Jury für meinen Food Blog Geschmeidige Köstlichkeiten gewonnen, auf dem es fast ausschließlich um barrierefreies Essen für Menschen mit Dyspaghie geht.
inka
Januar 12, 2016Hi Claudia,
das finde ich super, dass Du mit diesem Thema hier so offen umgehst. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht ganz leicht ist, schon alleine das „100% Behinderung“ auf sich gemünzt auszusprechen ist bei den impliziten diskriminierenden Gedanken der Gesellschaft dazu sicher schwierig.
Umso besser, wenn Du es öffentlich machst: Einen Blog zu schreiben mit diversen Themen kann ja jedem nur förderlich sein, Dich kennen zu lernen, eben mit allen Facetten, und nicht beim „Behindert sein“ zu verweilen.
Außerdem wirst Du im Netz hoffentlich von anderen Betroffenen gefunden, denen Du da ganz sicher eine Hilfestellung bist. Ich stelle mir das nämlich einigermaßen anstrengend vor, zumal, wie Du ja gut beschrieben hast, Dein Umfeld z.B. kapieren muss, dass Du viel mehr Zeit am Tag für Essen einplanen musst. Wenn ich mir vorstelle… also das wäre z.B. für mich in meinem jetzigen Leben ziemlich schwierig. Aber vielleicht ist das auch ein Weg zu mehr „Slow Mode“, mehr Zeit und weniger Hetze? Das würde mich auch als Nicht-Betroffene wirklcih interessieren.
Ich wünsch Dir eine tolle Reise!
LG /inka
Claudia Braunstein
Januar 12, 2016Liebe Inka, herzlichen Dank für deinen sehr ausführlichen Kommentar. Ja es ist mir über längeren Zeitraum schwer gefallen den Begriff *Behinderung* zu verwenden. Nicht die Tatsache ist das Problem, mit der lebe ich so ziemlich im Einklang, sondern mit dem gesellschaftlichen Umgang. Ich habe einen hörbaren Sprachfehler, den mir die Operation gebracht hat, es fehlt mir ein Teil der Zunge, darum kann ich auch nicht mehr richtig essen. Und diese Sprachbehinderung ist der Hauptgrund, weshalb ich so offen mit dem Thema umgehe. Ich schütze mich dadurch vor Mutmassungen, denn es gibt eine Vielzahl an Menschen die Spracheinschränkungen mit geistiger Behinderung verbinden. Da sage ich lieber was Sache ist, denn das ermöglicht sehr oft ein normales Gespräch zu führen. *Slow Mode* wie Recht du hast, auch daran musste ich mich gewöhnen, das ist auch der Grund weshalb ich in Pension bin, weil ich sehr viel Zeit für meine Nahrungsaufnahme benötige. Aber man lernt sehr schnell sich zu entschleunigen, obwohl ich immer noch sehr umtriebig bin, anders als vorher halt. Ich muss einfach viele Dinge anders organisieren, aber das ist ja auch eine schöne Herausforderung. Weißt du, ich habe in meinem früheren Leben sehr viel gereist, aber das hat jetzt eine ganz andere Qualität, hat auch sehr mit Dankbarkeit zu tun. Darum freue ich mich auf diese Reise ganz besonders. Liebe Grüße, claudia
vielweib
Januar 12, 2016Ich freu mich für Dich von herzen! Das sind tolle Neuigkeiten, dass Deine nächste Reise für Dich sich so gut organisieren lässt! Hab ganz viel Spaß. Ich hoffe auf viele Fotos und Inspirationen. Nur schade, dass wir uns dann nicht an der Mosel sehen… Ganz liebe Grüße, tanja
Claudia Braunstein
Januar 12, 2016Liebe Tanja, ja, ich bin so begeistert, wie viel man für mich im Vorfeld bereits organisiert hat. Da haben sich alle ins Zeug gelegt, dass es mir ganz richtig gut gehen wird. Die ganze Welt wird davon live erfahren 😉 Ich weiß gar nicht wann ihr an die Mosel fahrt, da wäre ich ehrlich auch gerne dabei gewesen, das ist sicher eine seeeeeeehr illustre Partie. Ich hoffe wir sehen uns bald wieder einmal live. Dort oder da. Liebste Grüße aus Salzburg, Claudia
Nadi
Januar 12, 2016das klingt ja wahnsinnig spannend. Singapur ist essenstechnisch ja schon für Esser ohne Einschränkungen interessant und manchmal sogar eine Herausforderung, das potenziert sich bei Dir natürlich ungemein!
Kannst Du eigentlich dieses Gelzeug für Sportler zu dir nehmen? Das ist ja hochkalorisch, aber gleichzeitig sehr klein verpackt und kann problemlos mit ins Flugzeug genommen werden. Vielleicht wäre das mal was für den Notfall?
Eltern dürfen auch Babykost mitnehmen ,vielleicht wäre das für dich auch eine Alternative, wenn Du ein ärztliches Attest bei hast?
Claudia Braunstein
Januar 13, 2016Hallo Nadi. Ich werde für den Notfall, wie immer zwei, drei Flaschen mit hochkalorischem Zeux mitnehmen, allerdings im Koffer. Aber das ist wirklich nur für Notfälle, weil mich das so sehr an die lange Zeit in der Klinik erinnert und geschmacklich der Sondennahrung ähnelt. Ich möchte ja eigentlich *normal* leben und auch so verreisen und nicht ständig an Notfälle und Ausnahmen und Sonderregelungen denken. Bezüglich Babynahrung, da gilt die Regelung nur für Menschlein unter drei Jahren. So viel ich weiß, werden ärztliche Atteste auch nur für medizinische Nahrung akzeptiert. Da fällt zum Beispiel Joghurt nicht drunter. Es ist auch von Airline zu Airline verschieden. Ich musste sogar einmal Morphium zurücklassen, das ich dringend benötigte, weil das Attest nicht ausreichte und der Arzt ein bestimmtes Formular ausfüllen hätte müssen. Ja, Fliegen ist kompliziert geworden, noch dazu wenn man dann auch noch Sonderkonditionen benötigt. 😉 Am Flug nach Singapur bin ich eh versorgt, sogar mit Dyspagiekost. Und wie ich bemerkt habe, bieten das auch andere Carrier an. Was mir eigentlich wichtig ist, ist darzulegen, dass Behinderung sehr vielfältig sein kann. es gibt sehr viel Menschen mit massiven Schluckstörungen und die deshalb ihr soziales Leben sehr einschränken, vorwiegend, weil man so wenig Angebote im öffentlichen Raum findet, auch in der Gastronomie ist das ein großes Problem. Liebe Grüße, Claudia
Julia
Februar 29, 2016Ich bin gerade – zugegebenermaßen – etwas geplättet. Dass man auch bei der Nahrungsaufnahme eingeschränkt sein kann und das als Behinderung anerkannt ist, wusste ich bis gerade gar nicht. Macht aber natürlich Sinn. Ich stelle mir das sehr mühsam vor, alles so minutiös im Voraus zu planen – vor allem, weil ich selbst eher der chaotische Reisetyp bin, der einfach mal drauf los geht und sich im schlimmsten Fall mit Googlemaps orientiert, um sich nicht zu verlaufen. Entsprechend spontan kehre ich auch zum Essen ein und ich bin gerade sehr beeindruckt davon, dass Du Dich davon nicht abhalten oder abschrecken lässt, sondern eben deinen eigenen Umgang damit findest. Besonders wenn Du schreibst, dass Du via Mailverkehr mit bestimmten Restaurants schon vorab solche Dinge klärst…ich finde, da gehört eine ganz gehörige Portion Mut dazu, damit so offen umzugehen!
Ich glaube, ich bin gerade auch ein wenig…wie sagt man…more humble geworden und weiß meine Uneingeschränktheit – auch bei der Wahl meines Essens und der Restaurants – in Zukunft wohl ein ganzes Stück mehr zu schätzen!
Du hast meinen größten Respekt.
LG Julia
P.S. Ich bin seinerzeit mit Singapur Airlines nach Australien geflogen, die sind echt spitzenmäßig! Und haben sich durch deinen Beitrag gerade noch ein zusätzliches Sternchen im Fleißheft verdient! Genieße Singapur, ich bin gespannt, was Du zu berichten hast, wenn Du zurück bist. 🙂
Claudia Braunstein
Februar 29, 2016Liebe Julia, danke für deinen netten und ausführlichen Kommentar. Würde ich nicht so offen mit meinen Einschränkungen umgehen, dann würde ich vermutlich viel versäumen. Ich bin übrigens fast schon einen Monat aus Singapur retour und es war unglaublich schön. Ganz liebe Grüße, Claudia
Anja S.
März 14, 2016Hallo Claudia,
ich finde es super, dass Du über dieses Thema informierst. Es ist sicher nicht einfach, wenn man alles im Vorfeld abklären muß. Das hemmt die Freude am Reisen aber hoffentlich nicht allzusehr.
Ich wünsche Dir schon jetzt eine gute Reise und hoffe dass alles klappt.
LG, Anja
Claudia Braunstein
März 15, 2016Liebe Anja, nein es hemmt mich nicht, es ist nur manchmal etwas umständlich und ich habe mir aus der Not heraus vorgenommen einfach so oft wie möglich auf das Thema aufmerksam zu machen. Liebe Grüße Claudia
Urs
März 14, 2016Hi Claudia
Dass du an dieser Einschränkung Leidest ist natürlich – gelinde gesagt – sehr unschön. Ich kann mir das jetzt wirklich gar nicht vorstellen wie ich damit umgehen würde wenn es mich betreffen würde. Aber aus deinen Worten lese ich eine unheimliche Kraft und Willen, trotz den Einschränkungen ganz normale Sachen zu machen wie eben Reisen. Dass du in Singapur warst beweist, dass alles geht, wenn man nur will. Ein Top Artikel, der sicher vielen mit ähnlichen Problemen Mut machen kann.
LG, Urs
Claudia Braunstein
März 15, 2016Lieber Urs, danke für deine netten Worte. Ich versuche das Beste aus der ganzen Situation zu machen und ich denke, das gelingt mir meistens ganz gut. Liebe Grüße Claudia
Margarete
März 15, 2016Hi!
Ich bin sehr beeindruckt!
Von Deinem Mut mit Deiner Behinderung so offen umzugehen und nicht vor ihr zu kapitulieren und trotzdem auf Reisen zu gehen. Ich kannte vorher eine derartige Erkrankung nicht und dachte sofort darüber nach, wie gut es mir geht, dass ich alles machen und noch so vieles erleben kann. Ich weiß nicht, ob ich nicht den Mut verlieren würde, wenn ich so schwer erkranken würde. Du gibst Hoffnung und wer kann das schon von sich behaupten.
Liebe Grüße
Margarete
Claudia Braunstein
März 15, 2016Liebe Margarete, danke für deine wertschätzenden Worte. Ja, ich habe sehr schwere Zeiten hinter mir, aber was hätte es mir gebracht mich ständig nur negativ mit meinen Behinderungen auseinanderzusetzen. Los werde ich diese Beeinträchtigungen nicht mehr, aber man kann das Beste daraus machen und sich nicht unterkriegen lassen. Liebe Grüße Claudia
Melanie
März 17, 2016Bevor ich dich kennen gelernt habe, wußte ich nichts von einer derartigen Einschränkung. Aber ich fand damals schon dein Projekt „Geschmeidige Köstlichkeiten“ ganz wunderbar. Mit deiner „Macher-Art“ gibst du nicht nur Hoffnung, sondern zeigst auch, was man schaffen kann – wenn man etwas tut. Wenn eine Person etwas tut. Egal wofür. Und übrigens: Seit ich deine „Ei im Glas“ Frühstückstouren verfolge – gehört das Ei-im-Glas fix zu meinem Wochenendfrühstück. Danke für die Idee 🙂 LG, Meli
Claudia Braunstein
März 25, 2016Liebe Melanie, herzlichen Dank für dein super liebes Feedback. Bis bald wieder einmal im richtigen Leben 😉