Zuletzt aktualisiert am 7. Januar 2023 um 19:11

Lange habe ich überlegt, ob ich dieses Thema zwischen all den schönen Restaurants, Wanderungen, Kultur Events und Hotel Reviews überhaupt hier ansprechen soll. Ja, mein Chemobrain hat hier durchaus etwas zu suchen, denn es zieht sich wie in roter Faden durch meinen Alltag. Manchmal ist der Faden so fein wie ein Frauenhaar, manchmal so dick wie ein Schiffstau. Das ist aktuell seit einiger Zeit leider wieder einmal der Fall.

Schäden durch Chemotherapie und posttraumatischen Stress

Chemobrain, diesen Begriff musste ich auch erst kennen lernen, um die eigenartigen Zustände nach meiner Strahlen/Chemotherapie definieren zu können. Chemobrain kann durch die Gabe von Zytostatika entstehen. In meinem Fall war das Cisplatin, das auch heute noch in abgewandelter Form bei Plattenepithelkarzinomen, das sind Tumore in der Schleimhaut, verabreicht wird. Cisplatin ist sehr aggressiv und macht im besten Fall dem Krebs den Garaus. Das ist bei mir auch so eingetreten, denn ich bin nun bald neun Jahre krebsfrei. Aber viele Spätfolgen begleiten mich, wie eben dieses durchlöcherte Hirn. Es gibt auch Erkenntnisse, dass Chemobrain durch posttraumatischen Stress entstehen kann.

Oftmals bleiben nach einer Chemotherapie keine dauerhaften Folgen. Bei Cisplatin weiß man jedoch, dass Schäden auch lebenslänglich auftreten können. Offenbar habe ich da wieder einmal sehr laut hier gerufen.

Kein Dauerzustand, aber oft präsent

Diese Aussetzer sind kein Dauerzustand. Monatelang habe ich oft Ruhe davon und kann ohne großen mentalen Aufwand meinen Alltag bewältigen. Jetzt ist leider wieder einmal ein Phase, in der ich mich in höchster Konzentration üben muss, um nach außen Normalität zu zeigen. Es ist ein großer Kraftaufwand, wenn Begriffe des täglichen Gebrauchs einfach nicht auftauchen wollen. Wenn man beim Bäcker steht, um für die liebe Familie Brot zu kaufen und das Wort Brot verzweifelt sucht. Ich bin seit Jahren sehr geübt, Worte zu umschiffen, indem ich einfach munter dahinplaudere und Worte umschreibe. Das fällt kaum jemanden auf, auch nicht meinem nahen Umfeld. Aber , wenn ich mitten im Satz verstumme und nur mehr ein großes Loch vor Augen habe, dann nützt auch die beste Konditionierung nichts. Dann kann ich nur mehr sagen, dass ich schlicht den Faden verloren habe. Kommt selten vor, weil ich bemüht bin, das zu umgehen. Und das ist ein großer Kraftaufwand.

Wenn ein Buch unlesbar wird

Warum ich nun das Thema hier aufgreife, hat einen Grund. Ich wollte eine Buchrezension über einen Roman einer sehr netten Internetbekanntschaft schreiben. Mit Christiane Landgraf bin ich beruflich wegen des Blogs schon länger in Verbindung. Im Frühling ist wieder ein Roman von ihr erschienen, Pilotentochter, Ehebruch mit Todesfolge. Genau zu Beginn der Coronakrise, kein guter Zeitpunkt für eine Buchpräsentation. So habe ich mich angeboten hier am Blog darüber zu erzählen. Drei Mal habe ich das Buch begonnen und ich bin nicht einmal bis zur Seite 100 gekommen, weil mein Emmentalerhirn unfähig ist, das Gelesene zu behalten. Und das liegt keinesfalls am Inhalt, denn der ist mehr als spannend und mit vielen kleinen Details gespickt. Trotzdem bin ich einfach nicht weitergekommen. Vielleicht funktioniert es, wenn sich die Hirnwindungen wieder in die richtigen Bahnen bringen.

Wortfindungsstörungen

Viele meiner Mundkrebskollegen schildern übrigens ähnliche Erfahrungen. Wortfindungstörungen, Gedächtnislücken oder einfach Denkermüdung. Ich mache zum Beispiel dann unglaublich viele Schreibfehler. Selbst Grammatikfehler und grauenhafte Orthografie schleichen sich ein. Das Tragische daran ist, dass ich diese Fehler auch nicht mit einem Schreibprogramm erkenne. Selbst die roten Wellen unter den Fehlern kann ich nicht wahrnehmen. Ganz schön blöd, wenn die Hauptbeschäftigung Blog schreiben ist.

Ruhe einkehren lassen

Was ich dagegen tue? Das ist schwer zu sagen. Meist vergehen diese Unzulänglichkeiten bald wieder. Ich merke, dass auch das Wetter eine große Rolle spielt und natürlich allgemeine Überforderung. Dann heißt es einen Gang hinunter zu schalten und Unwichtiges abzugeben oder schlicht zu streichen. Vielleicht sollte ich auch lernen, öfter einfach auch nur nein zu sagen oder auch offen zu kommunizieren, dass ich gerade wieder einmal massive kognitive Einschränkungen habe. Leicht ist das allerdings nicht, weil das für Außenstehende so schwer nach zu vollziehen ist und leider auch auf Unverständnis trifft.