Zuletzt aktualisiert am 19. November 2023 um 14:22

Wie geht es dir, wie geht es euch? Kaum eine Frage wird im Moment häufiger gestellt. Kein Mensch fragt mehr, ob man abends ausgehen möchte, wie der letzte Urlaub war, wo sich das neueste Restaurant befindet oder wie einem die heurige Frühjahrsmode gefällt.

Ich bin erstaunt, wie viele Menschen sich plötzlich auf allen möglichen Kanälen bei mir melden, um diese einfache Frage zu stellen. Wie geht es dir? So liest sich oft der Einzeiler in WhatsApp Nachrichten, in SMS oder sonstigen Messengern. Häufig sind das auch Menschen, die zumindest für mich seit langer Zeit vom Radar verschwunden waren. Aus welchen Gründen auch immer, Menschen kommen und gehen, ich sehe das keineswegs negativ. Auch Freundschaften nutzen sich ab.

Ein Frage, auf die selten ehrliche Antworten kommen

Trotzdem ist es für mich erstaunlich, dass gerade jetzt, wo wir alle kollektiv betroffen sind, genau diese Frage auftaucht. Ich erinnere mich da an meine dunklen Zeiten in meinem Leben, da wurde oftmals gar nicht mehr gefragt, wie’s mir geht, weil die Leute ohnedies eine negative Antwort erwarteten. Was soll man auch schon antworten, wenn jemand sprachlos und halbverhungert, vom Tod bedroht, herumliegt? Also fragt man offenbar am besten gar nicht und meidet jeden Kontakt, um sich nicht mit negativen Gedanken hilflos auseinandersetzen zu müssen. So etwas erleben viele Menschen, die sich in einer großen Lebenskrise befinden.

Kontakt aufnehmen ist wertschätzend

Prinzipiell ist diese Frage ja sehr wertschätzend, weil man Interesse am anderen zeigt, aber letztlich auch ein wenig hilflos. Seien wir doch ehrlich, wollen wir eine echte Antwort auf diese Frage in Zeiten wie diesen haben? Wollen wir, dass das Gegenüber sagt, dass es Suizidgdanken hat, dass es finanziell am Ende ist, dass es seine eigenen Kinder nicht mehr erträgt, weil es so viel Nähe nicht gewöhnt ist. Wollen wir wirklich wissen, wie es dem Gefragten in diesen für viele bedrohlichen Zeiten wirklich geht?

Wollen wir ehrliche Antworten?

Der Gefragte gibt auf diese Wortkombination auch selten eine ehrlich Antwort. Geht schon, muss ja gehen, wird schon wieder. All das bekommt dann dann zu hören.

Es fällt mir auch häufig auf, dass nach dieser Fragestellung gar keine Antwort erwartet wird, weil die Fragenden meist ohne großen Umschweif von ihren eigenen Befindlichkeiten erzählen.

Das alles ist zutiefst menschlich!

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass nur irgendjemand von dieser momentanen Situation vollkommen unberührt bleibt. Selbst die Leugner zeigen Regung, indem sie eben leugnen und herunterspielen, oder noch viel schlimmer, untragbare und unbelegbare Verschwörungstheorien verbreiten.

Ich nehme mich übrigens nicht aus, auch ich frage oft ganz gedankenlos, wie geht’s, wenn ich kommunizieren möchte, oder meine Wertschätzung aussprechen möchte und eigentlich nicht genau weiß, wie ich mein Gegenüber nun ansprechen soll. Meist bemerke ich es in dem Augenblick, wenn mir diese Worte über die Lippen kommen, wie wenig sinnvoll und oberflächlich diese Buchstabenkombination eigentlich ist.

Wäre es nicht besser wesentlich konkreter zu fragen?

  • Wie gehst du mit der Situation um?
  • Wie funktioniert das Familienleben unter diesen Bedingungen?
  • Wie geht es dir mit dem Daheimsein, kann ich dir etwas Gutes tun?
  • Magst du mit mir plaudern, aber bitte nicht über das Thema Nummer eins?
  • Ich komme gerade gar nicht zurecht, hast du Zeit mir zuzuhören?
  • Oder gerne doch auch Belangloses, wie etwa die Frage nach einem Rezept für eine Suppe oder einer neuen TV-Serie. Einfach Fragen, auf die man ehrlich und vielleicht auch ganz positiv antworten kann.

Ach ja, falls wer fragt, mir geht es gut.


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