Zuletzt aktualisiert am 7. Januar 2023 um 19:13

Mut machen. Vorbild sein.

Unlängst hat sich eine Frau telefonisch an mich gewandt, deren Mann vor einiger Zeit an Zungenkrebs erkrankt ist und nun mitten in langwierigen und leidvollen Therapie steckt. Nach einem freundlichen Gruß und der Nennung ihren Namens, sagte sie folgende Worte zu mir: „Ich habe Sie im Internet gefunden und bin unglaublich froh, dass Sie leben!“ Beinahe wollte ich schon antworten, wie froh ich persönlich wäre, dass ich am Leben bin.
Im Schnitt melden sich ein, zwei Menschen wöchentlich bei mir, die entweder selber an einem Mundhöhlenkarzinom erkrankt sind, oder es sind Angehörige, die Hilfe und Tipps suchen. Oder , die mir nur sagen, dass sie froh wären, dass ich lebe. Das bedeutet für Neu-Betroffene, dass es eben möglich ist, diesem Krebs auch langfristig die Stirn zu bieten.

Geheilt und trotzdem bleibt der Krebs ewig ein Thema

Ich bin nun fast sieben Jahre nach meiner Diagnose und gelte seit zwei Jahren als geheilt. Wie schon oft erwähnt, ich habe zahlreiche Einschränkungen aus meiner Erkrankung in meine heutiges Leben mitgenommen, darum wird das Thema Zungenkrebs vermutlich bis an mein Lebensende präsent sein. Es ist mir tatsächlich ein sehr großes Anliegen, mein angesammeltes Wissen rund um diese Erkrankung an andere Betroffene weiter zu geben. Zu diesem Wissen gehören nicht nur meine eigenen Erfahrungen, sondern auch jene von anderen Betroffenen. Und auch all das, das ich mir in diversen Fortbildungen angeeignet habe.

Ich bin ja selber von der Erkranktensituation sehr weit entfernt. Die Therapiemethoden haben sich in den letzten Jahren zum Glück sehr verbessert. Besonders Chemotherapien werden heute massgeschneidert, dadurch können Folge- und Langzeitfolgen vermindert werden. Auch Bestrahlungen sind wesentlich sanfter, als vor sieben Jahren.

Veränderte Betroffenenbegleitung

Auch für mich hat sich in der Betroffnenenbegleitung vieles verändert. Waren es früher spezifische Fragen zu Therapien oder Alltagsbewältigung, so höre ich heute von den Menschen , die sich an mich wenden, dass ich ihnen so viel Mut machen würde, nur aus der Tatsache heraus, dass ich bereits sieben Jahre krebsfrei bin und augenscheinlich, trotz Behinderungen in ein neues Leben gefunden habe.

Immer wieder höre oder lese ich, ich würde Mut machen und ein Vorbild sein. Natürlich ist es sehr schön, wenn man derartiges Lob erfährt, trotzdem ist das für mich nicht immer ganz nach zu vollziehen. Was mache ich denn schon Großartiges, um anderen Menschen ein Vorbild zu sein? Ich halte mich nicht für außergewöhnlich, auch das was ich tue ist nichts besonderes. Ich lebe einen relativ normalen Alltag. Ja, ich bin hilfsbereit und versuche andere Menschen zu unterstützen, aber das tun hunderttausend andere auch. Meine ehrenamtliche Tätigkeit beschränkt sich auf den Kontakt mit anderen Patienten und deren Angehörigen. Mehr ist da aus meiner Sicht nicht. Es berührt mich sehr, dass allein mein Dasein offenbar Mut macht, ansonsten würde ich nicht so oft mit Aussagen, wie der eingangs erwähnten konfrontiert werden.

Mut machen und Vorbild sein, nicht immer einfach

Es ist übrigens nicht immer ganz einfach in dieser Rolle der Mutmacherin zu sein. Auch ich habe meine weniger guten Tage. Das ist meist körperlicher Natur, denn psychisch bin ich tatsächlich sehr stabil, bis auf den Umstand, dass ich bei der kleinsten Kleinigkeit in Tränen ausbreche. Ich versuche immer authentisch zu sein, manchmal frage ich mich jedoch, wie viel kann ich wirklich von Rückschlägen erzählen, um andere nicht zu verunsichern?