Zuletzt aktualisiert am 7. Januar 2023 um 20:59

Ich bin sehr nahe am Wasser gebaut. Immer schon. Aber seit meiner Krebserkrankung vor fünf Jahren noch viel mehr. Meistens weine ich aus lauter Rührung. Weil mein Enkel mir ein Bild zeichnet und es mit vielen Bussis überreicht. Weil eines meiner Kinder einen großen Schritt im Leben macht. Weil ein tragischer Film doch mit einem Happyend aufhört. Weil mich Menschen wertschätzen und mir das auch so sagen. Weil mir in den letzten Jahren, trotz ordentlicher Einschränkungen viele Dinge gelungen sind, die auch anderen zu Gute kommen. Manchmal weine ich weil einfach ein schöner Tag ist, die Sonne scheint und ich an einem wunderbaren Ort lebe. Weinen ist für mich ein Zeichen, Freude auszudrücken. Ich forciere das nicht, meine Augen werden einfach feucht und schon kullern Tränen über meine Wangen.
Ja manchmal weine ich auch , wenn ich an das sehr leidvolle Jahr nach der Diagnose denke. Im Nachhinein war das viel dramatischer, als ich es damals wahrgenommen habe. Ab und zu weine ich , wenn jemand neben mir Speisen isst, die ich so gar nicht mehr genießen kann.
Ganz selten kommen mir die Tränen, weil ich wütend und zornig bin, einfach deshalb, weil ich eben sehr selten wütend und zornig bin.
Bei der letzten onkologischen Nachsorgeuntersuchung im Frühjahr, also vor der magischen 5 Jahresgrenze, hat mir meine Ärztin schon signalisiert, dass ich davon ausgehen kann, tatsächlich geheilt zu sein. Schon zu diesem Zeitpunkt vor wenigen Monaten hat mich das emotional sehr getroffen. Das Schreckgespenst Krebs ist immer weiter weggerückt. Ich habe nie mit meiner Erkrankung, die mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hat und sehr viele Veränderungen mit sich gebracht hat, inklusiver meiner großen Esseinschränkung, gehadert und habe immer versucht mit der oft schwierigen Situation positiv umzugehen. Ich traue mir zu behaupten, dass mir das weitgehend sehr gut gelingt.

HEMMUNGSLOS WEINEN

Und heute fand endgültig die letzte Nachsorgeuntersuchung auf der Onkologie statt. Ich wurde heute als onkologische Patientin nach über fünf Jahren entlassen und brauche nicht mehr diese Ambulanz besuchen. Im ersten Augenblick, bei der Verabschiedung, habe ich das gar nicht realisiert, was das eigentlich wirklich bedeutet.
Beim Verlassen des Ordinationsraumes  überkamen mich schon so unbeschreibliche Gefühle, dass ich bereits beim Anziehen meines Mantels bemerkte, wie sich meinen Augen mit Tränen füllten. Mit ziemlich schnellen Schritten habe ich das Gebäude verlassen. Wer möchte schon mitten im Wartebereich einer onkologischen Ambulanz hemmungslos zu weinen beginnen. Die Menschen würden das sicher negativ bewerten und ein Unglück vermuten.
Vor dem Gebäude konnte ich mich einfach nicht mehr kontrollieren und habe so hemmungslos zu schluchzen begonnen, wie ich es damals in der langen Krankheitsphase nie konnte. Eine ältere Frau kam auf mich zu und fragte ganz besorgt, ob sie mir helfen könnte. Ich stammelte nur:

Es ist vorbei, und so soll es ewig bleiben.