Zuletzt aktualisiert am 7. Januar 2023 um 20:59

Ich sehe schon einen großen Teil meiner Leserschaft  bezüglich des Titels *alt und behindert* die Augen  rollen.
Ich werde in wenigen Wochen 54 Jahre alt. Natürlich ist das nur eine Zahl, aber trotzdem sagt sie aus, dass ich die Hälfte meines Lebens hinter mir habe und vermutlich bald das letzte Drittel anstreben werde, sofern mir meine wiedererlangte Gesundheit hold bleiben möge. Du bist doch nicht alt! höre ich schon meine Familienmitglieder und realen Freunde sagen. Doch in vielerlei Hinsicht bin ich alt. Nicht weil ich mich so fühle, oder zumindest nur ganz, ganz selten, sondern weil die Gesellschaft mich in manchen Situationen alt macht. Aus der Arbeitswelt kennt man das schon lange, aber auch in der Bloggerszene, vornehmlich in der Lifstyleabteilung, da bin ich als Ü50 Bloggerin beinahe ein vorsintflutliches Exemplar. Auf Veranstaltungen werde ich mit unter wie ein Ausstellungsstück aus längst vergangenen Kuriositätenläden betrachtet. Der gängigen Meinung nach sind Lifestyleblogger unter 35, das ist eh schon fast alt, jung, hipp, dynamisch, weltoffen, faltenfrei, makellos und im besten Fall auch noch fettfrei, also gertenschlank. Viele dieser Eigenschaften treffen auf mich nicht mehr zu.

ZU ALT FÜR EINEN KLEINWAGEN?

Unlängst war ich auf einer wirklich interessanten Veranstaltung, bei der es um Anbahnungen von zukünftigen Kooperationen mit diversen Unternehmen ging. Sagenhafte 10 Termine hatte ich an diesem Veranstaltungstag mit möglichen Partnern, die sich mit meinen beiden Blogs bereits auseinandergesetzt haben. So möge man meinen. Zumindest einmal habe ich gehört, dass man doch eher jüngere Bloggerinnen für das Produkt andenken würde. Das Produkt war ein Kleinwagen, der preislich eher zu meiner Altersgruppe passen würde, als zu 25 Jährigen. Es war mir dann auch nicht ganz klar, warum Frauen über 50 nicht auch Kleinwagen fahren sollten. Wir Damen denken doch da eher praktischer als gleichartige Herren, die eventuell lieber flotte Sportwagen oder große Limousinen bevorzugen, um noch einmal Jugendlichkeit oder Wohlstand zu zeigen. Tja, mein Argument bezüglich des Alters hat dann doch gefruchtet, und ich werde mit großer Wahrscheinlichkeit jetzt auch ab und dann Autos testen, da ich für das kommende Jahr ohnedies den Ankauf eines neuen Autos ins Auge gefasst habe.

ERFAHRUNG UND LEBENSWEISHEIT

Jedenfalls hat mich dieses Gespräch wieder einmal dazu angeregt über den Stellenwert meines Lebensalters als Bloggerin nachzudenken. Ich kann und will mich vor allem nicht mit meinen jungen Kolleginnen vergleichen. Ich biete keine Faltenfreiheit und keinen jugendlichen Esprit. Ich biete Erfahrung, Lebensweisheit, Authentizität und vor allem prall gefüllte 54 Jahre mit ganz vielen Höhen und ein paar unglaublichen Tiefen, die mich positiv, wie negativ sehr geprägt haben.
Schon bei der nächsten Gesprächspartnerin konnte ich meine neue Definition an die Frau bringen. Auf die Bitte ich möge doch in einem kurzen, knackigen Satz meine ganz speziellen Besonderheiten und Merkmal beschreiben, und weshalb gerade ich als Partnerin in Frage käme, entwich mir eher ungeplant der Satz *Ich bin alt und behindert* . So viel Ehrlichkeit rief erst Sprachlosigkeit und Erstauen hervor, führte aber letztlich zu einem sehr konstruktiven Gespräch. In diesem Fall ging es im weiten Sinn um Hotels, Wellness und Gesundheit der sehr gehobenen Klasse.
Auch wenn ich im realen Leben niemals sagen würde, dass ich alt bin, so spielt dieses Attribut in meinem Bloggerleben  eine große Rolle. Viele Kooperationen entstehen tatsächlich auf Grund meines fortgeschrittenen Alters. Und nein, dabei handelt es sich nicht um Seniorenresidenzen, Inkontinenzprodukte, Rollatoren oder Bestattungsunternehmen, all das schwemmt es mir regelmäßig in meine Facebook-Timeline. Es sind vornehmlich Anfragen die genau zu mir und zu meiner Altersgruppe passen. Schöne Hotels, sehr gute Restaurants und tolle Reisen. Allein im Bereich Fashion mangelt es wirklich an ernst zu nehmenden Anfragen. Nicht nur, dass diese kaum vorhanden sind, sondern dann auch einfach nicht passend. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass Mode nur ein kleiner Teil am Blog ist.

ICH BIN BEHINDERT

Achja, *ich bin behindert*, diese Aussage mag für viele Menschen verstörend wirken, vor allem wenn man sie sehr selbstbewusst tätigt. Meine Behinderungen, egal ob sicht- oder hörbar, oder nur für mich als Einschränkung bemerkbar, gehören zu mir und sind auch nicht weg zu leugnen. Ich habe bewusst den Weg gewählt, offen darüber zu sprechen, weil es mir tatsächlich mein Leben erleichtert. Dass mein sexy Sprachfehler inzwischen eine Art Markenzeichen ist, stört mich nicht sonderlich, ist aber ein ganz großer Wiedererkennungsfaktor im realen Leben. Auf den Blogs erkennt man ihn maximal in Videos, und davon gibt es ja nicht viele.

Meine Essbehinderung ist für  Gastronomen inzwischen ein sehr interessantes Thema und es gibt auch Unternehmen aus der Lebensmittelbranche die wegen meiner Dysphagie mit mir kooperieren.

Fotokollage Claudia Braunstein

Nicht alles was auf den ersten Augenblick abwertend und negativ wirkt, muss auch tatsächlich so sein. Alt und behindert sind keine Attribute die man sich mit Begeisterung aussucht, man kann aber trotzdem Wege finden, viel Positives daraus zu gewinnen. Ich weiß von einem nicht geringen Teil meiner Leserschaft, wie wichtig mein offener Umgang mit diesen Themen für andere Betroffene ist.