Zuletzt aktualisiert am 7. Januar 2023 um 19:16
Im Frühjahr 2012, gut sieben, acht Monate nach meiner Krebsdiagnose und nach den langen, leidvollen Therapien, hatte sich mein Wunsch verstärkt, andere Menschen mit Mundhöhlenkarzinomen, insbesondere Zungenkrebspatienten persönliche zu treffen, oder sich zumindest virtuell oder schriftlich auszutauschen. Ich war auf der Suche nach einer Selbsthilfegruppe, aber auf Grund der wenigen Betroffenen gab es damals in Österreich keine derartige Gruppe. Statistisch erkranken jährlich ca.230 Menschen im gesamten Bundesgebiet daran. Also, zum Glück , eine verschwindende Menge im Vergleich zu populären Karzinomarten, wie Brust-oder Prostatakrebs. Darum gibt es auch im Internet keine große Auswahl an Informationen.
AUSTAUSCH MIT ANDEREN BETROFFENEN
Mich interessierte damals in dieser wirklich sehr schwierigen Zeit, wie ich mit all diesen Behinderungen den Rest meines Lebens verbringen sollte. Ich konnte kaum sprechen, und das sehr unverständlich. Meine Ernährung fand noch immer zu einem großen Teil über die Magensonde statt. Ich hatte einen offenen Luftröhrenschnitt. In vielen Situationen war ich auf Unterstützung angewiesen. Mein Leben hatte sich total verlangsamt. Auch die unzähligen rechtlichen Fragen machten mir zu schaffen. All dies war ein Grund eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Meine Erwartungen hatten sich nicht erfüllt, obwohl ich durch prominente Unterstützung kurzfristig eine große Hörerschaft im regionalen Radio erreichte und auch Aufmerksamkeit in der heimischen Presse erhielt. Allein, die Betroffenen blieben aus.
EHRENAMTLICHE BETROFFENENBEGLEITUNG
So kam ich damals auf die Idee, wenn die Menschen nicht zu mir kommen, dann muss ich zu ihnen. So ergab sich für lange Zeit eine Zusammenarbeit mit meiner Heimatstation der MKG an den Salzburger Landeskliniken auf ehrenamtlicher Basis. Vor allem meine langjährige Logopädin, Frau König, stellte Kontakte zu Neupatienten her, denen ich auf Wunsch meine Erfahrungen und mein inzwischen umfangreiches Wissen anbot.
PSYCHOONKOLOGIE
Ich habe dann 2013 eine einjährige Ausbildung zur Psychoonkologin begonnen. Diese Ausbildung ist normalerweise nur postgradual möglich. Aber meine ehrenamtliche Tätigkeit und auch meine Betroffenheit haben zu einer Sondergenehmigung geführt. Ich hatte damals auch den Plan, diese Betroffenenhilfe beruflich im kleinen Rahmen auszuüben, wie es eben meine gesundheitlicher Zustand zugelassen hätte. Aus diesem Vorhaben wurde aus finanziellen Gründen nichts. So habe ich weiterhin lange Jahre diese Tätigkeit als Ehrenamt ausgeführt.
Im letzten Jahr wurden die Patientenkontakte immer weniger. Meist aus dem Grund, weil ich viel unterwegs war.
VERÄNDERUNGEN
So sehr mir diese, doch schwierige Arbeit Freude bereitet hatte, ich distanzierte mich auch persönlich davon. Meine eigene Erkrankung liegt nun sechs Jahre zurück. Mein Hauptthema sind heute weniger die Krebserkrankung selbst, sondern mehr meine bleibenden Behinderungen und auch die Langzeitschäden, die sich nun schön langsam bemerkbar machen. Es hat sich therapeutisch in den vergangenen Jahren viel verändert. Therapien werden heute anders angewendet, bringen zum Glück weniger Einschränkungen und werden besser vertragen. Operationsmethoden wurden angepasst. Das heißt, dass meine Erfahrungen für heutige Patienten oft gar nicht mehr zutreffen. Zum Glück möchte ich sagen. Sicher der menschliche Aspekt , der Umgang mit Angehörigen, die Sorgen um die Zukunft, all das trifft auch heute noch zu.
HILFE AUF VIRTUELLER BASIS
Trotzdem habe ich mir in den letzten Monaten sehr viel Gedanken gemacht, ob ich diese Selbsthilfe noch weiter in dieser Form betreiben möchte, da ich ja meine Tätigkeit schon lange in die virtuelle Welt verlagert habe. Betroffene Menschen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum bitten mich oft per Mail oder privater Nachricht um Hilfe. Egal ob selber Betroffene oder Angehörige. Auch mein Foodblog Geschmeidige Köstlichkeiten fällt unter diese Hilfe.
Vor gut zwei Wochen war der Vorsatz mich aus der realen, persönlichen Selbsthilfe zurück zu ziehen eine beschlossene Sache. Ich wollte dazu einen Beitrag schreiben, ähnlich, wie diesen hier und meine Beweggründe erläutern. Gleichzeit hatte ich vor, an den Dachverband ein Schreiben zu senden, dass ich die Gruppe auflösen werde. Dazu muss ich auch erläutern, dass diese Selbsthilfegruppe nie wirklich eine klassische Gruppe war, weil es fast unmöglich war, regelmäßig Betroffene an einen Tisch zu bekommen. Das hatte mitunter den traurigen Grund, dass Patienten verstarben, oder sich, nach erfolgreicher Therapie vom Thema abwendeten. Was ich sehr gut nachvollziehen kann.
WENDEPUNKT; EIN TELEFONAT
Gedanklich hatte ich den Text schon parat und wollte ihn abends in die weite Welt senden, als mein Telefon läutete und am Display eine mir unbekannte Nummer aufschien. Oft hebe ich da gar nicht ab, und warte, ob jemand in dringenden Fällen auf die Mailbox spricht. Dazu muss man wissen, dass ich ungern telefoniere, weil hier meine Spracheinschränkung oft hinderlich ist.Jedenfalls hob ich ab und am anderen Ende meldete sich eine junge Frau, die mir erzählte, dass sie meine Telefonnummer über den Dachverband der Salzburger Selbsthilfegruppen fand. Weiters erfuhr ich, dass ihr erst 33jähriger Gatte vor wenigen Tagen die Diagnose Zungenkrebs erhalten hatte und nun vor der Operation stand. Bei ihren Ausführungen wurde ich an meine eigene Diagnose erinnert, die fast ident war. Viel Details kamen mir sehr bekannt vor. Auch wenn ich in solchen Situationen sehr professionell agiere, ein wenig nahe kommen mir solche Erläuterungen auch heute noch. Was mich hier noch viel mehr betroffen machte, war das jugendliche Alter des Patienten, nur ein Jahr älter als mein ältester Sohn. Zumal dieses junge Paar ein Kind im Alter meines Enkels hat und so wie meine Tochter gerade ein zweites Kind erwartet.
RÜCKZUG VOM GEPLANTEN RÜCKZUG
Bumm, das sass dann wirklich! Ich habe meist mit älteren Menschen im Zusammenhang mit Mundhöhlenkrebs zu tun. Das ist nicht weniger tragisch, hat aber ganz andere Auswirkungen im privaten Umfeld, wie bei einem Patienten, der gerade mitten in seiner Lebensplanung steht und noch dazu so eine große Verantwortung hat.
Ich habe mich mit dem jungen Paar, entgegen meines Vorsatzes, mich aus der Selbsthilfe zurückzuziehen, getroffen.
Dieses Treffen hat mich nun dazu bewogen, das Ehrenamt in Form der Betroffenenbegleitung nicht einzustellen. Es ist immer noch Bedarf vorhanden, auch wenn ich selbst von der Krankheit und den Therapien weit entfernt bin. Aber ich bin das lebende Beispiel, dass man trotz Einschränkungen ein neues, gutes Leben führen kann. Und zwar noch Jahre nach der Diagnose. Das macht Mut.
Das Foto entstand übrigens im Frühjahr 2016 auf der Integra in Wels, auf der ich auch kommendes Jahr wieder als Speakerin auftreten darf. Auch das fällt für mich unter Betroffenenhilfe.